Petra Mettke
Krönungsängste
™Gigabuch Winkelsstein 13
Roman
2014
44 Seiten (bislang digitalisiert)
Simon flog mit dem Kombi nach Köln und erbat die Landeerlaubnis auf dem Hubschrauberlandeplatz der Sendeanstalt in Form eines Glasbaus. Was er nicht bedacht hatte, dort drückte man sich die Nasen an den Scheiben platt, weil noch niemand ein solches Fahrzeug live und in Farbe zu Gesicht bekommen hatte. Die Emotionen im Sender kochten hoch, wie Simon auf dem Hubschrauberlandeplatz senkrecht aufsetzte und losfuhr, um wie ein x-beliebiges Auto auf dem Parkplatz einzuparken. Natürlich kannte man den Anblick aus den Medien, aber wie leise und wendig ein solcher ausfahrbarer Rotor wirklich war, das hatte Ufo-Charakter. Im Lauffeuer sprach es sich herum, wer der Pilot war und Simon kamen diese Vorschusslorbeeren entgegen, als er den Sender betrat. Er freute sich zwar über die Höflichkeit, ärgerte sich jedoch auch, dass ihn scheinbar jeder kannte. Er hätte sich lieber anonym mit der fremden Umgebung vertraut gemacht. So blieb dafür keine Zeit. Kaum angekommen, empfing ihn eine Mitarbeiterin und lotste ihn ohne viele Worte ins Studio. Artur Zobel empfing ihn väterlich-freundlich, was Simon leicht entspannte. Obwohl er 10 Minuten zu früh da war, brachte ihn der Moderator umgehend in die Maske und erklärte ihm dabei den Sendeverlauf seines Konzepts und die Eckpunkte des Interviews. Der Redakteur tat das nicht ohne Hintergedanken, denn er wollte vermeiden, dass sein Interviewpartner mit irgendeinem Kollegen sprach. So konnte Simon nicht gewarnt oder verunsichert werden, musste unbeeinflusst und unerschrocken alles auf sich zukommen lassen, was ein Interview am ehesten gelingen ließ. Im Unterschied zu einer Filmszene, die durch Wiederholung besser werden würde, verlor ein Interview seine lockere Ungezwungenheit sehr schnell. Artur Zobels eigener Anspruch verwarf gestellte Abfrageprogramme, weil sie wie auswendig daher geleiert kamen. Ehe sich Simon versah, wurde er in die Blue Box Kulisse geschoben und sein Mikro wurde befestigt. Kaum deutete sein Gegenüber an, er solle sich setzen, gab er auch schon das Zeichen zum Drehstart. Die Klappe kam, es ging los.
“Darf ich Sie bitten, sich vorzustellen, denn ich habe zu Ihrer Person gleich mehrere Namen gefunden.“ fragte Artur Zobel in einem so vertrauten Tonfall, dass es Simon nicht in den Sinn kam, das Ziel der Frage zu analysieren.
„Mein Name ist Simon Prinz von Winkelsstein. Ich habe innerhalb unserer Familie die Linien gewechselt, wodurch sich auch mein Name änderte. Aufgrund von erbrechtlichen Anerkennungen meines Ziehvaters bekam ich einen zweiten Pass und wurde zum Ersatzthronfolger in dieser Erblinie bestimmt. Mein zweiter Name lautet Simon Prinz von Nordland. Diesen Namen bin ich in Deutschland nicht gezwungen zu tragen.“ -
„Das versteht man als ein Bürgerlicher schwer, Prinz Simon.“ -
„Das liegt an den Titeln und ihrer Rangordnung. Das ist eine Wissenschaft für sich, ein Regelwerk, welches über Jahrtausende funktionierte und auch durch die heutige Bedeutungslosigkeit nicht getilgt ist. Kurz gefasst bedeutet mein erster Name Sohn eines Fürsten zu sein, und mein zweiter Name, Nachkomme aus königlichem Geblüt, dem der Thron in Aussicht gestellt wurde analog eines geborenen Königssohnes. Ich verzichte aber bewusst auf die Regel, der höhere Rang zählt. Ich möchte lieber bleiben, der ich bin.“ -
„Und wer sind Sie bei all den Namen und Titeln?“ -
„Ich bin Arzt und Apotheker, das kann ich als ein Kronprinz von Beruf nicht sein.“ -
„Da muss ich Ihnen Recht geben. Aber ich habe recherchiert, Sie sind Chefarzt und besitzen die an Patenten zur Naturmedizin reichste Apotheke der Welt.“ -
„Ja, aber die Winkelssteinklinik hat nur 3 Ärzte, deren Chef ich bin und in der Winkelssteinapotheke arbeitet nur mein Ziehvater Prinz Paulus und ich. Klinik und Apotheke gehören zum Winkelssteinvermögen, ich betreibe sie bloß. Das ist kein Understatement, sondern die nüchterne Wahrheit.“
Da das 1 zu1 abging, holte Artur Zobel nun aus:
„Ich habe gehört, in Ihre kleine verschwiegene Klinik geht zum Beispiel der Präsident der USA ein und aus.“ -
„So?“ lächelte Simon heiter, aber nicht ironisch.
„Ist es nicht so?“ musste Artur Zobel nachhaken und bekam Angst, dass das Gespräch schon jetzt zur Kampfzone würde und abgebrochen werden muss, weil er es wegwerfen müsste.
„Ein anderes Mal will man den Dalai Lama bei uns gesehen haben. Dem würde ich sehr gerne mal begegnen. Ich denke, weil wir so tief in einem undurchdringlichen Wald liegen, animiert es zu Spukgeschichten oder zum Märchenerzählen und das nicht erst in unserer Zeit. Ich finde es sympathisch.“
Simons souveräne Haltung bei dieser Provokation beeindruckte den ausgefuchsten Moderator mehr als der Inhalt der Worte, der ihm den Hebel aus der Hand riss. Er betrachtete die unglaubliche Schönheit des Prinzen zwar nur mit männlicher Abneigung, hielt jedoch der gutmütigen Ausstrahlung des Blickes nicht wirklich stand. Er unterschätzte ihn nur und verkannte die Technik der Arglosigkeit in Simons klaren Augen. Er konzentrierte sich sichtbar, wirkte aufmerksam und damit viel sympathischer, als der Redakteur die Wirkung einschätzte. Simon trug zwar einen guten Anzug, aber ohne alle Standesabzeichen. Die Krawatte fehlte und der oberste Hemdknopf stand leger offen. Diese Kleinigkeit ließ ihn jungenhafter wirken, als seine Verantwortung zuließ. Der Moderator wusste genau, wie Simon durch sein Erscheinungsbild bei den Zuschauern punkten würde, daher erhöhte er den Druck auf seinen Gesprächspartner, um mehr heraus zu kitzeln:
„Wir haben über Ihre Namen, Ihren Rang und Ihre Berufe gesprochen, fehlt nur noch der Titel. Haben Sie noch weitere?“ -
„Ja und zwar einen Namensanhangtitel. Im bürgerlichen Leben ist er bedeutungslos und kann bei der Namensnennung weggelassen werden, ist aber familiär Teil meines Stammbaums.“
Artur Zobel merkte noch während Simon sprach, dass es nicht funktionierte. An dieser Stelle der Befragung neigten alle bisher interviewten Aristokraten dazu, die Lawine der Eitelkeiten ihrer Privilegierung loszulassen und gaben dem Moderator die Chance zur Kritik am Adel. Er parierte durch, musste sofort einen Ausweg auftun, denn es durfte keine unprofessionelle Gesprächslücke entstehen, weil sein Faden fehlte. Fast zu hastig fragte er, und später im Kontrollraum ärgerte er sich, weil er zu hastig wirkte.
„Ich meine, im Zusammenhang von Titel und Rang steht doch ein Hauschef eines Geschlechts. Nun habe ich gelesen, Sie sind der Hauschef bei den Winkelssteinern?“
Er ließ sich eine Sekunde zu lange Zeit, um weiterzureden und signalisierte Simon vollkommen zu Recht, schon antworten zu können.
„Ja.“ nickte Simon gelassen und machte den Eindruck, sich das Wort nicht aus dem Mund nehmen zu lassen.
Artur Zobel bemerkte zu spät, wie ungenügend er seine Fragestellung ausformuliert hatte, um Druck auszuüben. Er befand sich in der Defensive und sollte sich bei dieser Stelle in der Nachbearbeitung schwarz ärgern. Seinen Unmut steigerte es sogar, da Simon derart brillierte, was verhinderte, dass er den Fehler herausschneiden konnte. Sein Fehler war, seine bürgerlichen Zuschauer nicht davon informiert zu haben, dass der Fürst Maurice das Oberhaupt der Adelsfamilie war und damit automatisch Hauschef. Er hatte es nicht gesagt, weil er zu schnell etwas sagen musste und er es wusste. Das zeigte seinen Kontrollverlust als Moderator und würde ihm Kritik einbringen, ging ihm im Kopf herum. Simon ging zwar bisher dem väterlichen Wohlwollen artig auf den Leim, doch nur um sein Gegenüber in die Falle zu locken. Artur Zobel war unbewusst Simons Charme erlegen und stand jetzt im Begriff zum Spielball des Aristokraten zu werden. Seine Kollegen würden es ihm ankreiden. Er begriff, obwohl der Prinz 30 Jahre jünger war, hatte er das Schlüsselloch seiner geballten Erfahrung gefunden und ihn unterlaufen. Der junge Prinz stand auf Augenhöhe mit dem versierten Medienfachmann und er musste zulassen, dass er die Kontrolle über das Gespräch innehatte.
„Bei uns ist das anders geregelt, Herr Zobel. Üblicherweise ist der Titelerbe einer Dynastie auch der Chef des Hauses. Bei uns ist das mein Adoptivvater Fürst Maurice. Er ist der Chef des Hauses. Meine Zuständigkeit nennt sich Hauschef und ich teile mir diese Verantwortung mit meinem Adoptivgroßvater Fürst Azo, der die Angelegenheiten der Hochadligen managt, während ich für meine Tätigkeit im Hause Winkelsstein auch bürgerlich Personalchef sagen könnte. Ich kümmere mich um die Belange der Familienmitglieder aller Linien, das sind genau derzeit 396 Personen und als Arbeitgeber um das Personal in Winkelsstein von über 120 Angestellten.“
Eine Schreckenssekunde war Artur Zobel verblüfft über die zuletzt genannten Zahlen. Bei aller Sorgfalt, das ging nicht zu recherchieren und er hatte die Winkelssteiner in allem unterschätzt.
„Ist das nicht ein bisschen viel Macht für einen Achtundzwanzigjährigen.“ lautete prompt seine Reaktion, die wenig Durchdachtheit an den Tag legte.
„Macht?“ blieb Simon rührend harmlos: „Stellen Sie sich meine Arbeit so vor?“
Auch über die freundliche Entrüstung zeigte sich der Journalist nicht gefasst. Er hatte nicht nur die Gesprächskontrolle verloren, er stieß unüberlegt und entwaffnend aus:
„Wie sonst?“
Simon nutzte die Konzentrationsschwäche des Unterlegenen nicht einfach, sondern antwortete so, dass er Boden gut machen konnte mit seiner Spontanität:
„Ich treffe die Personenentscheidungen auf der Grundlage der Hausgesetze und die Personalentscheidungen nach den Arbeitsgesetzen. Meine Möglichkeiten sind die eines Amtsschimmel, alles genau formuliert.“
Der Moderator holte erleichtert Luft und meinte:
„Klingt langweiliger, als ich dachte.“
Er gönnte sich diese dümmliche Bemerkung, um den Spielball auf dem Niveau zu halten, von dem er annahm, dass es spannend werden könnte. Simon tat ihm den Gefallen und besaß schon wieder die Kontrolle.
„Der Umgang mit Menschen ist nie öde. Unsere Angestellten werden von uns mit Arbeitsplatz, Wohnraum und Krankenversicherung versorgt und weil wir uns auch um Bildung und Ausbildung ihrer Kinder kümmern, leben viele schon seit Generationen bei uns. Es bedarf sehr viel Kreativität, um allen gerecht zu werden. Aber es gibt auch etwas, was mir die Arbeit leicht macht: Wir sind alle Waldanwohner, egal ob im Schloss oder einem Pachthaus. Wir leben alle unter denselben Bedingungen, das schweißt zusammen.“ -
„Davon habe ich gelesen. Im Winter von der Außenwelt abgeschnitten und die ewige Feuchtigkeit macht asthmatisch.“ -
„Nicht, wenn man vorbeugt. Zutaten findet jeder im Wald. Wir sind es nicht anders gewöhnt. Wir lieben unseren Wald.“ lächelte Simon zufrieden.
„Ihre Familie soll aber über den Erdball verstreut leben, oder?“ -
„Ja, jeder kann und soll gehen, wohin er mag. Er kann überall sich an unsere Hausgesetze halten.“ -
„Und wenn nicht?“ -
„Die Nebenlinien haben meistens keinen Bezug zu den Hausgesetzen mehr, da sinkt meine Verantwortlichkeit. Aber fast alle haben wirtschaftliche Kontakte zu Winkelsstein als Unternehmer.“ -
„Haben Sie ein Beispiel?“ -
„Dem Fürstentum gehören etliche Burgen, die den angestammten Familien verpachtet werden, damit sie auf ihrem Grund und Boden bleiben können. Mein Adoptivvater investiert und macht sie rentabel, damit sie Stammsitze bleiben und keine Jahrmärkte werden.“ -
„Das finde ich gut, er bringt auch Arbeitsplätze, wie ich las. Meine Bitte ist, nennen Sie ein Beispiel für die Entscheidungen aus dem Hausgesetz, das kann man sich als Bürgerlicher nicht vorstellen.“ empfand sich der Fernsehmoderator endlich wieder im Sattel.
„Eines der Hausgesetze besagt, wer als Winkelssteiner geboren wurde, erwirbt das unveräußerliche Recht seiner Zugehörigkeit. Kommt ein Winkelssteiner zurück, egal von wo und warum, er muss bei uns aufgenommen werden, das heißt: standesgemäß wohnen, Unterhalt oder Apanage, je nach Rang und eine Betätigung. Ich verteile so etwas.“ -
„Kommt das häufiger vor?“ klang er neugierig und damit nicht wie ein objektiver Journalist.
„Ich habe festgestellt, die Fluktuation schwankt. Mal häufiger, mal seltener, aber immer hat sie einen angenehmen Effekt auf die Daheimgebliebenen. Es ist immer was los, verstehen Sie? Uns verbindet dieselbe Erziehung und unsere Tradition, daher passt jeder in die Familie, aus der er kommt.“ -
„Darf man fragen, wieso kommt es vor, dass wer zurückkommt?“ -
„Generationswechsel, Heiraten, Geburten. Alles erfreuliche Gründe.“ -
„Gut.“ nickt Artur Zobel unzufrieden mit der Antwort und fasste zusammen: „Wir hatten Ihren Namen, Ihren Rang, Ihre Berufe und Titel und die Zuständigkeit im Adelsgeschlecht umrissen. Bei mir drängt sich fast ironisch die Frage auf, haben Sie überhaupt ein Privatleben?“ -
„Oh ja.“ strahlte Simon über das ganze Gesicht und der Moderator registrierte den Moduswechsel mit der bangen Frage, was der wohl bedeuten könnte, als Simon meinte:
„Ich bin verheiratet und meine wundervolle Frau hat mir Zwillinge geschenkt.“ klang Simon nicht wie der typische stolze Vater, sondern verträumt.
Diese Dosis Chamäleon wollte Artur Zobel mit allen Mitteln ausnutzen, um Familiäres aus dem Prinzen heraus zu kitzeln. Das verkaufte sich am besten und so tat er vertrauensselig:
„Wie heißt denn Ihre Frau?“ -
„Ihr Vorname ist Simone.“ -
„Sie hütet als Hausfrau bestimmt die Kinder, wie man es bürgerlich ausdrücken würde.“ stichelte der Journalist.
„Nicht ganz, weil sie halbtags sich in einer Adelsorganisation engagiert. Aber den Rest des Tages versorgt sie daheim die Kinder und die Haustiere.“
Der Stich ging zurück und Artur Zobel bleib nichts anderes übrig, als danach zu fragen, wenn er Privates wollte:
„Welche Haustiere haben Sie denn?“ -
„Meine Frau war vor der Hochzeit bei uns als Tierärztin tätig und kümmert sich weiter um kleine Blessuren und Erstdiagnosen aller Tiere. Unsere Schäferhündin ist leider im Frühjahr verstorben, aber ihre 7 Welpen sind alle noch da und auf unsere Familie verteilt. Auf dem Burghof lebt in einer großen Voliere unser Steinadler, der zwar frei herumfliegen sollte, doch aber gerne sich sein Futter bei uns abholt. Zu Winkelsstein gehört eine Kaltblutzucht, 7 Mutterstuten mit derzeit 15 Fohlen verschiedener Jahrgänge. Sie werden bei uns zu Holzrückpferden ausgebildet, da passiert so manche Schramme. Dann stehen zum Reiten noch 6 Islandponys und 5 Großpferde allen zur Verfügung, während die Islandponyherde von 73 Tieren letzten Monat nahe Bad Winkelssteinau umzog und weniger Arbeit für meine Frau anfällt. Zum Schluss wären da noch die beiden Wachhunde und die Küchenkatze zu erwähnen, die nur ihre Impfungen brauchen und noch nie krank waren.“
Der Moderator hatte bereits hörbar Luft geholt und stieß sie jetzt mit unkontrollierter Offenheit aus:
„Das ist ja ein vollwertiger Zoo!“