Leseprobe Hörspiel


Petra Mettke/Kurgespräch/Hörspiel/Druckheft von 2002/Coverentwurf

 

Hermann Hesse und Petra Mettke

Kurgespräch

Dialog mit dem Kurgast

Hörspiel aus der ™Gigabuch Bibliothek von 1987

Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2014

ISBN 978-3-734712-97-5


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Leseprobe aus dem Hörspiel Kurgespräch
Hermann Hesse und Petra Mettke unterhalten sich "literarisch" über ihre Kuraufenthalte.
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Leseprobe aus dem Hörspiel


 

Kurgespräch

 

HESSE:

„»Guten Tag.« [...] »Sie sehen ja heute sehr vergnügt aus!«“1

METTKE:

Ich? Reden Sie mit mir, Herr Hesse? Guten Morgen! Ist es nicht noch ein bisschen zeitig für Witze?

HESSE:

„»Es tut mir leid, ich möchte Sie gewiß nicht verletzen, aber [...] Sie sind, so wie Sie sich mir darstellen...«.“2

METTKE:

Ich bitte Sie! Von wegen darstellen, ich weiß sehr wohl, dass ich ein Morgenmuffel bin und damit keine Medaille verdiene. In meinem Gemüt dämmert es erst.

HESSE:

„»So, so!«“3

METTKE:

Aber Sie sind zu einer solchen Stunde schon hell wach, fit und gesellig, oder?

HESSE:

„Der Morgen, die berühmte Zeit der Frische, des Neubeginns, des jungen freudigen Antriebs ist für mich fatal, ist mir verdrießlich und peinlich, wir lieben einander nicht. Dabei fehlt es mir nicht am Verständnis...“4

METTKE:

Ach ja? Wollen Sie damit sagen, Sie sind auch ein Morgenmuffel, eben nur besser getarnt als ich?

HESSE:

„»Gewiß, [...] «!“5

METTKE:

Unglaublich! Wenn Sie mich fragen.

HESSE:

„Alles was mein Leben schwer und heikel und zu einem gefährlichen, ja hässlichen Problem macht, spricht am Morgen überlaut, steht übergroß vor mir. Alles was mein Leben süß und schön und außergewöhnlich macht, alle Gnade, aller Zauber, alle Musik, ist am Morgen fern und kaum sichtbar, klingt kaum noch wie Sage und Legende herüber. Aus dem allzu seichten Grabe meines schlechten, kurzen, oft unterbrochenen Schlafes erhebe ich mich am Morgen, nicht beflügelt mit Auferstehungsgefühlen, sondern schwer, müde und zaghaft, ohne jeden Schutz und Panzer gegen die einstürmende Umwelt, die meinen empfindlichen Morgennerven all ihre Schwingungen wie durch einen heftigen Vergrößerungsapparat mitteilt, ihre Töne mir durch ein Megaphon zuheult. Erst von Mittag an wird das Leben wieder erträglicher und gut, und an glücklichen Tagen wird es am Spätnachmittags und Abend wunderbar, strahlend, schwebend, innig durchglüht von zartem Gotteslicht, voll Gesetz und Harmonie, voll Zauber und Musik, und entschädigt mich golden für tausend und tausend bösen Stunden.“6

METTKE:

Hm. Genau diese Harmonie fehlt mir eben noch. All der Kaffee wirkt bei mir noch nicht aufmunternd, um den Kontrast zwischen der Anforderung eines hemmungslosen Tagesbeginns und meinem von Erschöpfung zermürbten und träge reagierenden Daseinszustand in eine Gangart zu vereinen.

HESSE:

„Nein, wir müssen wesentlich tiefer graben, um dem Phänomen eine Theorie zu geben.“7

METTKE:

Oh, nein, Herr Hesse, bitte nicht, ich bezweifle stark, dass es mir gelingt, über Schläfrigkeit zu philosophieren, um eine aufgeweckte Theorie zu erstellen. Lassen Sie mich einfach Ihre Meinung teilen und höchstens etwas ergänzen.

Nicht jeden Morgen erlebe auch ich dieselben Schwierigkeiten, wie die von Ihnen beschriebenen. Sie bilden eher einen Nullstand in der Variabilität eines möglichen Tagesanfangs. Manchmal kann ich früh sogar arbeiten, dies wäre das gegensätzliche Extrem. Der Morgen darf mich fordern, und sofern ich eine Faser aktivieren kann, halte ich Schritt. Aber er ist sehr oft die Bruchlandung. Wie wunderbar eilt auch mir dann der Mittag entgegen, die beinah zerschellte, nicht anlassbare Maschine doch in die Lüfte entlassend. Im Flug dann gibt es kein Weh mehr, der Himmel ist fortan mein.

Unser gemeinsames Phänomen wird nur eine Theorie, blickt man die Aktivitätskurve eines Frühaufstehers an. Ihm fehlt es, den Abend zu genießen. Nur, es ist für uns schwieriger einen geeigneten Platz für unsere Manie zu finden, als umgekehrt, oder?

HESSE:

„Hier und im Kurgarten oder Walde gelingt es mir nun, in der wünschenswerten Isoliertheit den Morgen vollends herumzubringen. Zuweilen glückt es mir, zu arbeiten, das heißt auf einer Bank im Park, den Rücken gegen die Sonne und gegen die Menschen, einiges von den Gedanken aufzuschreiben, die ich noch von den Nachtstunden her in mir vorfinde.“8